Das Kompetenz- und Koordinationszentrum Polnisch (KoKoPol) und die Geschäftsstelle der Polonia in Berlin veranstalten am 19.3.2021 die Fachtagung „Polnisch als Herkunftssprache in Deutschland: Europäische Perspektiven“. Die Tagung fand online statt.
„Mehrsprachigkeit ist keine Überforderung, sondern eine Bereicherung der Gesellschaft“ – mit diesem Grundsatz begrüßte die etwa 80 Teilnehmer*innen Dr. Michael Schlitt, Vorstandsvorsitzender der Stiftung IBZ St. Marienthal, Trägerin von KoKoPol.
Die Eröffnungsrede hielt per Videobotschaft die Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung des Freistaats Sachsen, Katja Meier. Sie unterstrich die Bedeutung der Kenntnis der Sprache des Nachbarn für den europäischen Dialog.
Das erste Panel mit dem Schwerpunkt „Historische Kontexte, politische Perspektiven“ eröffnete Thomas Lenk, Leiter des Referats Mitteleuropa im Auswärtigen Amt. Er sprach über die Wichtigkeit der Polnischkenntnisse vor dem Hintergrund der guten Wirtschaftsbeziehungen − Polen belege als Wirtschaftspartner Deutschlands den hohen 5. Platz. Manuel Sarrazin, Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe, schilderte den Einfluss der deutsch-polnischen Geschichte auf die Wahrnehmung der polnischen Sprache in Deutschland. Der Polonia-Beauftragte von NRW, Thorsten Klute, stellte das erfolgreiche Modell zur Förderung von Herkunftssprache Polnisch in seinem Bundesland vor. Die Referatsleiterin im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg Birgit Nix präsentierte anschließend die Pläne ihres Bundeslandes, ein durchgängiges Polnischangebot von der Kita bis zum Abitur aufzubauen. Das Panel wurde moderiert von Prof. Dr. Dieter Bingen, dem langjährigen Direktor des Deutschen Polen-Instituts. Er warb dafür das Interesse für das Land Polen als Vehikel für das Interesse für die polnische Sprache einzusetzen.
Im zweiten Panel ging es um „Bildungsinitiativen der Polonia“. Aleksander Zając, Leiter der Geschäftsstelle der Polonia, schilderte die Bemühungen der polnischen Vereine um den Ausbau des Polnischangebots seit dem deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag 1991. Beispielhaft berichtete die Vorsitzende des traditionsreichen Schulvereins „Oświata“, Barbara Rejak, mit Wort und Bild von der alltäglichen Vereinsarbeit und ging dabei auf die aktuelle Situation der Pandemie ein. Agnieszka Siemasz-Kałuża, Vertreterin der Elterninitiative Polski w Hesji und Mitkoordinatorin der Bundeskonferenz der Polnisch-Arbeitsgemeinschaften berichtete über eine erfolgreiche Kampagne in Hessen, wo sich die Zahl der Schüler*innen im HS-Unterricht Polnisch zwischen 2015 und 2019 vervierfachte. Die Mehrsprachigkeitsexpertin Dr. Anna Mróz von der Universität Greifswald stellte am Beispiel des Berliner SprachCafé Polnisch dar, wie Polnisch als Herkunftssprache von der Zusammenarbeit mit anderen lokalen Sprach-Communities profitieren kann. In die gleiche Richtung wies Dr. Magdalena Telus von KoKoPol hin, indem sie das Potential des Strategiepapiers „Förderung der Herkunftssprache Polnisch“ der KMK von 2013 für andere Herkunftssprachen aufzeigte. Das Panel wurde moderiert von Jacek Tyblewski vom Radio COSMO.
Das Thema des dritten Panels lautete „Polnisch als Herkunftssprache im akademischen Diskurs“. Der Moderator, Prof. Dr. Alexander Wöll, Universität Potsdam, umriss zu Beginn den Rahmen mit Einblicken in die akademischen Biografien der Panelteilnehmer*innen. Als erster stellte Prof. Dr. Waldemar Martyniuk, Uniwersytet Jagielloński Krakau, die europäische Sprachenpolitik mit ihren Institutionen und Kernbegriffen vor und verortete darin das Thema Herkunftssprachen. Im Vortrag von Frau Prof. Dr. Jolanta Tambor, Uniwersytet Śląski, ging es um den Umgang mit der Asymmetrie im Status des Polnischen und des Deutschen bei Maßnahmen zur Förderung der polnischen Sprache in Deutschland. Dr. Dorota Orsson, Universität Greifswald und Bundesvereinigung der Polnischlehrkräfte, präsentierte die Ergebnisse ihrer Studien über die Sprachsituation in polnischen Familien, die auf der deutschen Seite wohnen und auf der polnischen arbeiten. Abschließend bot Yvonne Behrens, Ruhr-Universität Bochum, einen Überblick über die Forschungen zu Polnisch als Herkunftssprache an deutschen Hochschulen.
Prof. Dr. Roland Marti, Universität des Saarlandes, moderierte die lebhafte Abschlussdiskussion. Zur Sprache kamen gemischte Erfahrungen der Polonia-Vereine im Umgang mit Behörden, teilweise unzureichende Vergütung der Lehrkräfte sowie stereotype und autostereotype Einstellungen zum Polnischen. Diskutiert wurden auch die Modelle des schulischen und des außerschulischen herkunftssprachlichen Polnisch-Unterrichts sowie die Sinnhaftigkeit der Unterscheidung zwischen Polnisch als Herkunftssprache und als Fremdsprache. Ein weiteres Thema war der Unterricht online, geknüpft an den Wunsch, aus der Pandemie durch nunmehr technisch erleichterten überregionalen und grenzüberschreitenden Austausch zu lernen. An das KoKoPol wurde der Auftrag zur Schaffung entsprechender Dialogforen herangetragen.