Tagungsbericht: Polnischangebote an deutschen Hochschulen: Modelle? Bedarfe? Zahlen?
06.-07.12.2022 im hybriden Format am IBZ St. Marienthal und online.
Ziel des Arbeitstreffens war es, das Feld „Polnischangebot an deutschen Hochschulen“ abzustecken und Impulse für eine geplante Bestandsaufnahme zu generieren. Betrachtet wurde das Polnischangebot an Sprachenzentren von Universitäten, im Rahmen von universitären Slavistiken und an Fachhochschulen.
Die Anwesenden begrüßte Prof. Dr. Alexander Wöll von der Universität Potsdam in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats von KoKoPol.
Prof. em. Dr. Aleksander-Marek Sadowski, Hochschule Zittau/Görlitz, hob in seinem Eröffnungsvortrag den vielfach übersehenen Beitrag von Fachhochschulen bzgl. Anwesenheit der polnischen Sprache in der deutschen Hochschullandschaft hervor. Der Vortrag machte deutlich, dass Fachhochschulen große Anstrengungen unternehmen, um ihr Portfolio an Studiengängen den raschen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt laufend anzupassen. Entsprechend variierte auch das Interesse der Studierenden an Sprachen, darunter dem Polnischen. Zahlen der Polnisch Lernenden an Fachhochschulen seien nicht bekannt.
Dr. Thomas Vogel beleuchtete anschließend das Modell des Sprachunterrichts an universitären Sprachenzentren am Beispiel der Europa-Universität Viadrina. Den Hintergrund bildete eine organisationstheoretische Betrachtung der Hochschule als ein Handlungsfeld, dessen Akteure eine hohe Autonomie genießen. Hochschulen seien folglich keine Top-Down-Organisationen, sondern bauten auf Netzwerken auf. Das Lehrangebot, darunter auch das Angebot an Sprachunterricht, hängt von einer Reihe von Faktoren wie Politik, internationale Kontakte, Netzwerkanbindung, individuelle Vorlieben, studentische Interessen und pressure groups und nicht zuletzt den Finanzen ab. Eine abschließende Betrachtung des Polnischangebots an Hochschulen in Deutschland, der Schweiz sowie im Vereinigten Königreich brachte eine marginale Stellung des Polnischen ans Licht, ausgedrückt einerseits in bescheidenen Studierendenzahlen, andererseits darin, dass in der Regel nur niedrige Niveaustufen nachgefragt würden. Polnischkurse für herkunftssprachige Studierende wie an der Universität Paderborn seien eine Ausnahme.
Im nachfolgenden ersten Panel führte Dr. Magdalena Telus am Beispiel der Abwicklung des Polnischlektorats an der Universität des Saarlandes vor, dass die bilateralen deutsch-polnischen Abkommen bei entsprechenden Entscheidungen im Saarland keine Rolle spielten, genauso wenig wie die Partnerschaft des Landes mit der polnischen Wojewodschaft Podkarpackie bzw. die universitären Partnerschaften mit den Unis Warschau und Rzeszów. Das Beispiel Saarland mache deutlich, dass Sprachkenntnissen im Polnischen – wie in anderen osteuropäischen Sprachen – beim Thema Kooperation wenig Aufmerksamkeit zukommt.
Mgr. Violetta Kozik-Rafii vom Sprachenzentrum der Universität Bremen stellte das dortige Modell des Polnischunterrichts vor. Die Polnischkurse am Sprachenzentrum der Universität sind für Studierende und Mitarbeiter/-innen aller öffentlichen Hochschulen im Land Bremen sowie Gasthörer/-innen buchbar. ERASMUS-Aufenthalte in Polen stellten eine wichtige Komponente beim Erlangen einer vertieften Kompetenz im Polnischen dar.
Vermittlung der polnischen Literatur im akademischen Kontext war das Thema des Vortrags von PD Dr. 6 Przemysław Chojnowski von der Universität Wien. Im Mittelpunkt standen die einstigen Bemühungen des Übersetzers Karl Dedecius um eine universitäre Ansiedlung seiner translatorischen Arbeit, die jedoch zugunsten einer eigenen Institutsgründung aufgegeben wurden. Der Vortrag führte zu einer lebhaften Diskussion darüber, ob die Rezeption der polnischen Literatur im deutschsprachigen Raum einer institutionellen Förderung bedarf oder dem Markt überlassen werden kann sowie über den Stellenwert der traditionellen Philologien überhaupt.
Den Abschluss des ersten Tages bildete ein Liederabend mit vertonten Gedichten der Nobelpreisträgerin Wisława Szymborska.
Am zweiten Tag des Arbeitstreffens ging es um praxisorientierte Bedarfe an Polnisch als Fachsprache. Dr. Ewa Wieszczeczyńska von der Hochschule Zittau/Görlitz schilderte die Entwicklung des dortigen Polnischangebots, die an die Anforderungen des Arbeitsmarktes im Grenzraum gekoppelt ist. Wirtschaftskorrespondenz, unternehmensinterne Kommunikation, Finanz- und Berichtswesen sind nur einige Gebiete, wo Polnisch als Fachsprache in der Ausbildung einer Rolle spielt.
Der Vortrag von Dr. Dorota Orsson von der Medizinischen Fakultät der Universität Greifswald veranschaulichte, dass Polnischkompetenz eine lebensrettende Funktion haben kann. Rettungskräfte im Grenzgebiet sollten unbedingt mit der Nachbarsprache zumindest soweit vertraut sein, dass eine Anamnese in Akutsituationen möglich ist. Phonematisches Lernen (d.h. lernen von bestimmten Phrasen und Begriffen) sei angesichts des hohen Arbeitspensums im Medizinstudium die Methode der Wahl.
Zum Abschluss des zweiten Panels stellte der Geschäftsführer der Sprachen GmbH Viadrina, David Furmanek, das „Frankfurter Modell“ vor, in dem die 2002 aus dem Sprachenzentrum der Europa-Universität Viadrina als Tochtergesellschaft ausgegründete GmbH adressatenspezifische Weiterbildungen, darunter für Polnisch, anbietet.
In der abschließenden Diskussionsrunde ging es um die Nachbarsprachen Polnisch und Deutsch in der öffentlichen Wahrnehmung beider Länder. Dr. Regina Gellrich, Leiterin der Sächsischen Landesstelle für frühe Nachbarsprachige Bildung (LaNa), wies auf die frühkindliche Begegnung mit Polnisch als Nachbarsprache als einen Faktor hin, der spätere Entscheidungen für die Wahrnehmung akademischer Polnischangebote positiv beeinflussen kann. Während Dr. Adam Gołębiowski vom Institut für Germanistik an der Universität Wrocław das Ungleichgewicht zwischen dem akademischen Deutschangebot in Polen und Polnischangebot in Deutschland thematisierte, postulierte Dr. Anna Mróz vom BEFaN-Netzwerk eine stärkere Berücksichtigung herkunftssprachlicher Kompetenzen der Studierenden. Dies gelte sowohl für das Kursportfolio als auch für die Entwicklung von speziellen didaktischen Zugängen für diese Gruppe der Studierenden. Dr. Thomas Vogel, ehem. Leiter des Sprachenzentrums der Europa-Universität Viadrina, drückte die Hoffnung aus, KoKoPol möge Abhilfe bei solchen Problemen schaffen wie unbekannte Zahlen der Studierenden mit Polnisch, marginale Stellung des Polnischangebots im Portfolio der Hochschulen bzw. wenig Angebote für Studierende mit Herkunftssprache Polnisch.